Die Meersalz-Grenze

Früher, als wir noch Bier in der Badewanne kühlten, es ist noch nicht so lange her, da gab es Tage, an denen ich keinen Cent ausgab, und es war richtig gut. In der Mensa aß ich den Teller von Freunden leer, die den Kartoffelbrei-Berg nur halb abtrugen, weil sie entweder fitnessinteressierte Frauen waren oder sehr klein. Ich kochte mir umsonst Kaffee in einem düsteren Fachschafts-Raum, in dem Historiker über Bauernkriege nachdachten. Es war eine gute Zeit, ich war recht schlank und verhältnismäßig dynamisch.

Neulich stand ich in Hamburg im Frischeparadies. Dort bekommt man sehr ordentliches Nordseekrabbenfleisch, das kann man sich hin und wieder gönnen. Wenn man etwas müde ist vom Umhergucken (oh, die Shiitake-Pilze sind im Angebot), nimmt man ein Gläschen Taittinger an der Frischeparadies-Theke, das zeichnet die Umgebung weich und macht warm im Kopf. Ich habe jetzt, wenn ich ein bisschen nach unten gucke, ein Doppelkinn. Ich arbeite bei der ZEIT und schätze Fleur de Sel, es ist (habe ich mich neulich sagen hören) einfach nicht dasselbe wie Salz.

Es ist nicht nur nicht dasselbe, es ist etwas vollkommen anderes: Wo das Salzkorn plump auf der Zunge liegt, schmilzt Fleur de Sel wie ein papierdünner Schokoladenraspel und versickert in den Geschmacksknospen. Es fällt nicht wie Sand auf den Teller, Fleur de Sel geht nieder wie eine Feder, es segelt regelrecht. In Zehntelsekunden zergeht es auf einem heißen T-Bone, das habe ich neulich in einem Steakhouse beobachtet. Vor dem Essen hatte ich einen Manhattan. Die Bitterkeit, die er hinterließ, spülte ich mit einem Crémant von der Mosel hinunter. Es klingt nicht sympathisch, aber es war genau so.

Als ich verstanden hatte, dass Fleur de Sel etwas vollkommen anderes ist als Salz, guckte ich bei Manufactum vorbei. Manchmal treffe ich dort ZEIT- Kollegen, und seltsamerweise grüßt man sich dann verschämt, als würde man sich zufällig im Puff begegnen. Ich fragte den Verkäufer, ob sie Fleur de Sel aus der Camargue führten, ich glaube, ich benutzte wirklich das Wort führen. »Nein«, sagte der Verkäufer. »Aber ich kann Ihnen Fleur de Sel aus der Guérande anbieten.« Ich schwieg, er ahnte meinen Unmut, da sagte der Mann: »Haben Sie schon bei Perfetto Feinkost im Karstadt gefragt?« Ich machte mich auf den Heimweg und war ungelogen etwas verstimmt.

Das, was gerade passiert, nenne ich die Überquerung der Meersalz-Grenze. Hier kippt das Gefühl, dass man sich etwas doch mal leisten könnte, in Saturiertheit, in ein selbstgewisses Das-steht-mir-jetzt-zu. Wie mit einem Eispickel bin ich hinaufgestiegen, habe mich in höheren Ansprüchen festgekeilt, wobei das Bild nicht passt: Es ist alles nicht wirklich anstrengend und kaum gefährlich. Es geschieht eher so, wie die Polkappen schmelzen oder wie Gehälter steigen, allein weil man lange in einem Unternehmen bleibt. Auf die Butter folgte gesalzene Butter aus Irland, folgte Butter aus Büffelmilch, nicht dass ich die immer kaufen würde, aber zur Belohnung, wenn alles ein bisschen anstrengend ist, nehme ich die; sie ist cremig, sehr aromatisch und nicht zu vergleichen mit Butter von der Kuh.

Als wir noch Bier in der Badewanne kühlten, schauten wir regelmäßig unseren Lieblingsfilm: Das Große Fressen von 1973. Vier Freunde, so beschreibt es Wikipedia, treffen sich an einem Wochenende im Spätherbst, um aus Lebensüberdruss durch übermäßiges Essen feierlich kollektiven Suizid zu begehen. Was nun negativer klingt, als es ist, denn die Freunde sitzen in einem herrschaftlichen Stadthaus am Rande von Paris und füttern ihre Enten vor der Schlachtung mit Trüffelschokolade, damit das Fleisch süßlich und ein bisschen herb schmeckt. Einer ertrinkt tragisch in seiner Scheiße, ein anderer vögelt sich tot, der Dritte fährt mit dem Rennauto ins Jenseits, und der Vierte … weiß ich nicht mehr.

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