…haste mal ne Meinung?

Weihnachten rückt näher, die Menschen rücken näher, Kollegen rücken näher, man sitzt mit Freunden und Familie so rum und folglich redet man auch mehr, auch mal politisch, auch mal zu viel. Und weil diese Gespräche unweigerlich nahen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich einmal Gedanken zu machen, wie man in diese Gespräche reingeht und wie man wieder rauskommt. Vorbereitung ist alles.

Die Themen sind abzusehen. Vielleicht noch ein bisschen Jamaika, letzte Bemerkungen. Glyphosat nur kurz, weil niemand genau weiß, was das ist. Groko, klar. Trump natürlich, ein Segen für jede Konversation, Einigkeit bis kurz vor den Hitler-Vergleich. Und wenn nicht noch etwas Größeres dazwischen kommt, dann höchstwahrscheinlich Jerusalem, der Umzug der amerikanischen Botschaft. Gerade an Weihnachten! Dieses Gespräch wird kommen. Mit besorgtem Blick auf die Krippe unter dem Baum. Im Licht der Kerzen. Garantiert.

Die Meinungen werden flauschig in den nächsten Tagen, sie werden ein bisschen alkoholisiert, ein bisschen träge vom schweren Mahl. Aber das heißt nicht, dass man alles plätschern lassen sollte. Ruhig mal dazwischen gehen.

Es endet ja immer damit, dass der eine dem anderen etwas Lustiges auf dem Handy zeigt. Wenn es also um Trump geht und seine Entscheidung, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, erwähnt der Kollege auf der Weihnachtsfeier, der gerade sein Smartphone rauszieht, möglicherweise diese nette Karikatur, die er in der Zeitung gesehen hat, er hat sie abfotografiert: Ein Umzugswagen mit der Aufschrift „Tel-Aviv – Jerusalem.“ Der Fahrer ist ein Enten-Tier, das an Trump erinnert. Und darunter steht: „LKW-Attentat in Nahost.“

Wer ist denn „die geheime Regierung“?

Da gibt es dann die Möglichkeit zu schmunzeln, jaja, haha, oder man fragt mal vorsichtig nach: „Hä, das verstehe ich nicht? Warum denn LKW-Attentat? So wie auf dem Breitscheidplatz? So wie in Jerusalem in Januar? So wie in Nizza? Warum sitzt denn da Trump am Steuer?“ Und wenn der Kollege dann sagt, plötzlich ernst, aber längst nicht nüchtern, dass Trump durch seine Entscheidung ja schon eine Gewaltwelle auslöst in der Region, dann lohnt es sich, ihn zu fragen, wie er eigentlich auf Palästinenser guckt, ob das für ihn so etwas wie Löwen sind, die man nicht reizen darf. Und wie er eigentlich Obama fand. Großartig? Toll? Gut. Dann Kurztrip in die Geschichte: Dieser Obama sagte schon 2008 im Wahlkampf, zu einer Zeit, als er hier wie ein Messias gehandelt wurde, der das Land der großen Autos heilt, dieser Obama sagte damals schon, dass Jerusalem die ungeteilte Hauptstadt Israels bliebe, des jüdischen Staats Israel. Und dass die Palästinenser das akzeptieren müssten.

Na ja, und wenn der Kollege, das kann passieren, dann anmerkt, dass Obama halt gezwungen war, das zu sagen, weil die „jüdische Lobby“ in Amerika eben sehr stark sei, dann lassen Sie sich erklären, was genau er mit „jüdischer Lobby“ meint. Scheint ja ein Experte zu sein. Ob die auch einen Einfluss hat in Deutschland? Ob die auch etwas mit der „geheimen Regierung hinter der Regierung“ zu tun hat, von der neulich Oskar Lafontaine sprach auf einer Friedenskundgebung in Ramstein? Lassen sie es sich alles erklären und bestehen Sie unbedingt auf Konkretion. Na ja, und bevor sie ihn stehen lassen, weil es ja doch keinen Sinn hat, fragen Sie noch mal nach, ob der Karikaturist eigentlich der gleiche ist, der gerne mal israelische Panzer zeichnet, wie sie mit ihrem Kettenantrieb Kinder überfahren, das müsste doch der gleiche Zeichner sein, sieht doch fast danach aus.

Wenn sich die Frage nicht klären lässt, dann vielleicht ein kleines Quiz zum Abschied. Welcher Politiker kritisierte Trumps Entscheidung mit dem Satz „Politiker sollten für Versöhnung und nicht für Chaos sorgen“? War es a) Katrin Göring-Eckardt, b) Oskar Lafontaine, oder doch c) Recep Tayyip Erdoğan. Und dann vielleicht einfach gehen. Er wird die Lösung schon googeln. Moment, wenn der Kollege jünger ist, dann zeigt er vielleicht eher diese superlustige Satire-Meldung, die gerade im Internet geteilt und sehr gemocht wird. Man sieht Trump und Mahmud Abbas und darüber steht auf Englisch die Schlagzeile: „Palästinenser erkennen Texas als Teil von Mexiko an.“ Auch diesen Witz: detailliert erklären lassen, nachfragen. Ist also Jerusalem so wenig Israel, wie Texas ein Teil von Mexiko ist? Die Pointe jagen, bis sie in Ihren winterlich kalten Händen stirbt.

Immer dieses „Aber“

Manchmal ist es ja auch zu mühsam. Dann kann man den Winterplausch schon damit beginnen, dass man das Gespräch in Richtung jener gut 1.000 Demonstranten lenkt, die kurz vor dem zweiten Advent vor dem Brandenburger Tor standen, nahe der amerikanischen Botschaft. Die eine Flagge verbrannten, auf die sie den Davidstern gekritzelt hatten. Die Fahnen der Hamas schwenkten, einer islamistischen Terrororganisation. Und die der Berliner Polizei so normal vorkamen in ihrem Judenhass, dass sie später in einer Mitteilung zunächst von einer Kundgebung ohne „größere Störungen“ sprach. Was hätten die armen, wütenden Männer machen müssen für eine „größere Störung“? Auf ein Baugerüst klettern wie diese Demo-Hipster bei G20?

Na ja, aber um diese offensichtlichen Judenhasser, die dem Aufruf zu „Tagen des Zorns“ folgten, als sei Zorn ein planbares Termingeschäft, Emotions made in Arabia , um die soll es hier gar nicht gehen. Es soll eher um jene gehen, die ihren Finger in den Mainstream halten und einen abgesicherten Köpfer machen in die warme Strömung der Israelkritik: Sie finden schon irgendwie im Prinzip richtig, dass Angela Merkel damals vor der Knesset sagte, dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehöre. Aber.

Und dann folgen viele Sätze, an denen man sie erkennt. Dann relativieren sie das Wort „Sicherheit“, das Wort „Staatsräson“ und das Wort „gehört“. Sie relativieren vorsichtig in der Variante Gauck (Israels Sicherheit, so sagte er als Bundespräsident, sei höchstens „bestimmend“ für die deutsche Politik) oder weniger vorsichtig in der Variante Gauland, er negierte bereits ein Tag nach der Bundestagswahl die deutsche Verantwortung im Ernstfall.

Dann hinterfragen sie plötzlich den Begriff des Terroristen, wenn es um junge Palästinenser geht, die israelische Polizisten abstechen oder einen Mann im Supermarkt, der Regale einräumt. Fragen kritisch, nur eine Frage, nicht falsch verstehen, ob es nicht so etwas wie das Recht auf Widerstand gibt? Relativieren den Begriff des Terroristen, wenn jüdische Siedlerfamilien abgemetzelt werden, weil die ja dort… eigentlich… halt… irgendwie… nicht leben dürfen. Ein „selbst Schuld“ in vielen Worten. Da lohnt eine Gegenfrage: Warum ist etwas, das auf der ganzen Welt als Terror bezeichnet würde, in Israel plötzlich Widerstand?

Dann relativieren sie auch den Begriff der Gewalt, sobald sie ausgeübt wird von Palästinensern: Die Gewalt wird semantisch zu „Unruhen“ umlackiert, zu „Aufständen“. Schließlich heißt das Wort Intifada, so erklärt es auch die Tagesschau , „den Staub abschütteln“. Was natürlich gleich viel netter klingt: Er ist nicht mit einem LKW in flanierende Passanten gerast. Er hat nur Staub abgeschüttelt.

Dagegen hilft nur kaltes Wasser, hilft nur die Realität. Man muss solchen Leuten verwehren, dass sie einen LKW-Anschlag in Israel romantisch zu einer Heldengeschichte verklären. Denn es ist – hier kommt der kalte Eimer – immer exakt gleich widerlich, wenn ein Mensch im Namen Allahs und der Unterdrückten in eine Menschenmenge fährt, egal ob er das in Barcelona tut, in Nizza, in Berlin oder in Jerusalem. Das muss der Wellness-Israelkritiker begreifen: Das sind nicht Taten von Unterlegenen mit Gerechtigkeitshunger, keine Spur Robin Hood. Sie nehmen nicht Leben und geben es den Anderen, den Armen, den Geschundenen.

Terror ist erfinderisch

Man kann das Leben nicht aus den Rillen der LKW-Reifen kratzen und es weitergeben wie ein Licht an jene, die es angeblich mehr verdient haben: In die Dunkelheit, hinter die Mauer im Westjordanland, auf die der Pinsel-Künstler Banksy so gerne seine Israelkritik schmiert. Die Mauer, das schreibt Banksy nicht dazu, die dafür sorgt, dass Terroristen nicht ungehindert rüberkommen, Gott spielen und sich in völliger Verblendung und im Gefühl moralischer Überlegenheit Leben nehmen. Das Leben der anderen und das eigene. Doch ihr Terror ist erfinderisch. Er proletarisiert sich, die Mordwaffen werden simpler: Von der gebastelten Bombe zum stumpfen Gegenstand. Messer. Autos. Lastwagen.

Wo ist das Mitgefühl für ein Land, dass diesem Wahnsinn ausgesetzt ist? Israel. Wenn man in Deutschland über palästinensischen Terror redet, dann klingt es in neun von zehn Fällen noch immer nach menschenverachtender Verharmlosung. Nach dem, was der Moraltheologe Eugen Drewermann kurz nach dem 11. September sagte. Dass der Terror nämlich eine „Ersatzsprache“ sei, „weil berechtigte Anliegen nicht gehört wurden“. Was wahrscheinlich das Unmoralischste ist, was ein Moraltheologe sagen kann. Also: Mohammed Atta hat nicht getötet. Nein. Er hat in einer Ersatzsprache kommuniziert. Klingt fast noch netter als „den Staub abschütteln“. Weil noch weniger nach Wüste, noch demokratischer, noch ziviler.

Okay, ja ja, schon klar, die Stimmung ist am Boden, der Nachtisch kommt. Der Freund, der vor Minuten noch so engagiert redete, hängt im Stuhl. Ein letztes.

Erinnerst du dich daran, als die Regierung von Bonn nach Berlin umgezogen ist? Haben wir damals nicht darüber gesprochen? Du hast dich gefreut, war das nicht so? Weil, so hast du es gesagt, die Wunden der Teilung etwas geheilt würden. Und weil Berlin eben die Hauptstadt sei! Und nicht dieses graue Nest im Rheinland. Es sei das Recht eines souveränen Staats, seine Hauptstadt zu bestimmen. Beim Wort „Recht“ hast du mit der Faust auf den Tisch gehauen.

Irgendwie ging es auch um Thatcher, dieses eindrückliche Zitat: „Wir haben Deutschland zweimal geschlagen, nun sind sie wieder da.“ Es ging darum, dass Bonn auch eine Harmlosigkeit ausstrahlte, die uns ganz gut gestanden hat. Hast du selbst gesagt, in Abwägung aller Argumente. Dann aber hast du angefügt, als sei es ein Gesetz auf den Tafeln Mose: Hauptstadt ist Berlin. Jene Stadt also, in der unsere Vorfahren den Judenmord planten. Jene Stadt, in der sich in diesen Tagen Leute aus Neukölln oder von sonst wo aufmachen, um vor dem Brandenburger Tor einen Davidstern zu verbrennen. Hauptstadt ist Berlin.

Das nächste Mal trinken wir ein bisschen weniger und diskutieren, warum das Gespräch immer wieder bei Israel landet. Warum nicht bei Ländern wie Hessen. Ist ungefähr gleich groß und auch ziemlich interessant.

Hinterlasse einen Kommentar