Hamburger Haie

Jeder hat in seiner Jugend verrückte Dinge getan. Ich zum Beispiel war nach dem Abi Praktikant bei einem Bundestagsabgeordneten der CDU. Er war humorvoll, ließ mich machen und hatte Vertrauen. Dass ich ein gutes Bild von Berufspolitikern habe, liegt auch an ihm.

Vor ein paar Tagen las ich seinen Namen in der Berliner Zeitung. »Unverhohlener Lobbyismus im Bundestag«, stand da. Darüber ein Bild: Er hat sich kaum verändert, nur die Haare sind grau.

Am gleichen Tag telefonierte ich mit einem Makler. Ich hatte mich in Hamburg um eine Wohnung beworben. Ich könne sie haben, sagte er. Der Makler war freundlich und eloquent und hatte eine recht überzeugende Erklärung für den Umstand, dass der Eigentümer keinen Mietvertrag abschließen wolle – sondern einen Gewerbemietvertrag. Okay, sagte ich. Können Sie mir den Vertrag schicken? Nein, sagte der Makler.

Erst müsse ich ein zweiseitiges Dokument unterschreiben. Eine verbindliche Zusage. Aha. Aber wie kann ich einem Vertrag zustimmen, den ich gar nicht kenne? Er wurde ungeduldig: Der Eigentümer habe über hundert Objekte in der Stadt und wenig Zeit. Erst die Zusage, dann der Vertrag.

Ich kontaktierte einen Anwalt. Als ich ihm schilderte, was mir widerfahren war, begann er zu lachen. Entschuldigen Sie, sagte er, das ist absurd. Ein Gewerbemieter, lernte ich, hat viel weniger Rechte als ein normaler Mieter. Er kann, zum Beispiel, relativ problemlos aus der Wohnung geschmissen werden.

Ich googelte den Namen des Eigentümers, Treffer. Ich las von einem Mann, der bei einer Besichtigung ein Dokument ausgefüllt hatte – im Glauben, es sei eine Selbstauskunft. Nach der Besichtigung forderte der Eigentümer fast 5000 Euro von ihm. Der Interessent hatte, ohne es zu wissen, einen Mietvertrag unterschrieben. Ich las von einem Studenten, der auf der Suche nach einer Wohnung einen ziemlich miesen Vertrag unterschrieb – einen Gewerbemietvertrag. Er verpflichtete ihn, für die Beseitigung von bereits vorhandenen Feuchtigkeitsschäden aufzukommen und die Wohnung bei Auszug zu sanieren.

Ich sagte »Arschloch« in die Stille meines Büros, und wenig später sah ich dann eben meinen Abgeordneten in der Zeitung. Er ist nebenbei Vorsitzender von »Haus&Grund Württemberg«, einem Lobbyverband von Wohnungseigentümern. Nun prognostiziert er, pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen, das Ende der Mietpreisbremse. Er gehe, so lässt er sich von einer Zeitung zitieren, von einer »stillen Beerdigung« aus.

Ein angekündigter Tod.

Meine Hand schwebte über dem Hörer. Ich wollte ihn anrufen, meinen ehemaligen Chef, legte mir Sätze zurecht: Was wird das für eine Koalition? Ein Elitenprojekt für Hausbesitzer? Was sollen die Menschen über Schwarz-Gelb-Grün denken, wenn Alexander Graf Lambsdorff, FDP, einer alleinerziehenden Mutter empfiehlt, wie unlängst geschehen, sie könne sich ja für die Altersvorsorge eine Immobilie zulegen? Wie stilvoll finden Sie das auf einer Skala von 0 bis 10?

Der Mietmarkt ist doch längst ein Raum entfesselter Kaltschnäuzigkeit. Wie die Autobahn. Hier herrscht Freiheit, wie sie falscher nicht verstanden werden kann. Die Mietpreisbremse abzuschaffen, diesen aufrechten und fast einzigen Versuch, etwas gegen diesen Wahnsinn zu tun – das wäre, wie Drängeln mit Lichthupe zu legalisieren. Ein Aufruf zur Asozialität wäre das.

Ich nahm meine Hand vom Hörer und atmete durch. Irgendwie musste ich an Martin Schulz denken, den sanften Choleriker. In einer Sendung vor der Wahl hatte man ihm ein altes Ehepaar aus Hamburg vorgestellt, Opfer von Mietwucher. Und Schulz war aus der Haut gefahren, wie es halt seine Art ist: Er werde den Vermieter anrufen, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, und fragen, ob die einen Knall haben!

Damals fand ich das ein bisschen peinlich und wenig souverän. Heute frage ich mich, ob Schulz da wirklich angerufen hat. Und ob er nicht auch bei meinem Makler anrufen will. Die Nummer gibt es bei mir.

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