Für Zlatan

Ich weiß nicht, wie oft ich mir dieses Tor schon angesehen habe, Zlatan. Es wirkt bei mir wie ein Gebet: Ich schau es an und schöpfe neue Hoffnung. Der Ball kommt aus Eurer Hälfte. Er fliegt. Du sprintest, Du siehst den Ball in der Luft. Der Ball fliegt und fliegt. Der Torwart stürmt aus dem Strafraum. Hat er Angst? Du stoppst. Der Torwart köpft den Ball weg, viel zu schwach, kleiner Bogen. Du drehst Dich, Rücken zum Tor, 25 Meter Entfernung. Du lässt Deinen Körper nach hinten kippen, Fallrückzieher. Du triffst den Ball, liegst quer in Luft. Taekwondo: das linke Bein angewinkelt, das rechte gestreckt. Diesen Moment habe ich Dir zu verdanken, Zlatan Ibrahimović, dem schwedischen Fußballspieler mit kroatisch-bosnischen Wurzeln.

Ich bin gerade in Malmö, Deiner Stadt, Zlatan, in der Du aufgewachsen bist. Es ist wie eine Wallfahrt. Ich gehe durch die Straßen und frage nach Dir. Für die einen bist Du ein König. Für die anderen bist Du ein Gott. Ich gehe die Amiralsgatan hinunter, die große Straße Richtung Süden, stadtauswärts. Dorthin, wo es angefangen hat. Die Häuser werden größer und grau. Friends Grill, Falafel Bagdad, Orient Food. Ich habe gelesen, dass der Stadtteil Rosengård gefährlich sei: Islamismus, Jugendbanden, Arbeitslosigkeit. Jetzt stehe ich hier, am Cronmans väg, wo Du als Kind gelebt hast. Und weißt Du, Zlatan, was passiert? Ich sage das Codewort, und Deine Nachbarn von früher lachen fröhlich. Zlatan, sagen sie, yes: the king.

Damals, 14. November 2012, Schweden gegen England, erste Minute der Nachspielzeit: Was hast Du gedacht, als der Ball diesen Bogen machte? Als Du gesprintet bist, der Torwart köpfte? Was hast Du gedacht, als Du am Boden lagst? Als das Stadion leise wurde, für eine Schweigesekunde staunender Ungläubigkeit. Hast Du es Dir selbst geglaubt? Wenn ein solches Tor möglich ist, dann ist fast alles möglich. Das dachte ich.

Ich gehe unter den Gleisen durch, Rosengård. Wie der Asphalt vibriert, wenn ein Güterzug kommt, wie sich die Bäume biegen. Auf die Brücke haben sie einen Deiner Sprüche gepinselt: Du kannst den Jungen aus Rosengård holen, aber Rosengård nicht aus dem Jungen. Ich stehe neben Deinem ehemaligen Hartplatz, hier fing es an. Drei Jungs halten den Ball hoch, sie verbeugen sich, der Ball ist in der Luft, er fällt ihnen abwechselnd in den Nacken. Sie wollen sein wie Du.

Ich habe Dir einen Brief geschrieben, Zlatan, habe mit Deinem Verein telefoniert, mit Vertretern der Premier League, habe Deinem Biografen geschrieben. Ich wollte Dich treffen, es hat nicht funktioniert. Ich verstehe das: Du hast keine Zeit, Du musst Tore schießen, Du tust es auch für mich.

Wenn es mir schlecht geht, tief im Menschlichen verheddert, im Alltag verrannt, wenn ich die Gardinen an meinen Wohnungsfenstern schließe, wenn ich nicht aus weiß und nicht ein, dann schaue ich mir Dein Tor an, Zlatan: wie Du in der Luft liegst, eine schwebende Skulptur. Du hättest einfach schießen können, Gesicht zum Tor, Vollspann, ein sicherer Schuss. Stattdessen drehst Du Dich. Du drehst Dich vom Tor weg.

Ich bewundere Deine Furchtlosigkeit und Deine Stärke. Damals in der Schule gab es diese Mädchen mit den Armbändern und dem darauf eingestickten Spruch: What would Jesus do? Wenn ich nicht weiterweiß, wenn ich weglaufen, aufgeben, einknicken, mich verstecken will, dann frage ich mich manchmal: What would Zlatan do? Und dann denke ich: Zlatan würde aufstehen, er würde weitermachen, er würde kämpfen. Du bist ein Vorbild ungetrübter Männlichkeit, Zlatan.

Cronmans väg, dort oben in der dritten Etage hast Du mal gewohnt. Hier unten hast Du auf dem Hartplatz gekickt, mit dreizehn, vierzehn, ein Riese mit der Technik von Ronaldinho. Ich ziehe meine Jacke aus und spiele auf dem Platz bei den Jugendlichen mit, zwei gegen zwei. Sie sind jünger und schneller als ich. Sie sind besser. Sie tricksen, als steuerten sie ihre Beine mit einem Playstation-Controller, sie schlenzen den Ball, vor und zurück, rechts, links. Übersteiger, Rabona, Körpertäuschung. Das wilde Spiel. Ich stolpere, laufe ins Leere. Wir machen eine Pause. Sie lehnen am Zaun. Wir rauchen, und sie bekommen, als ich Deinen Namen sage, kaum ein Wort raus vor Zuneigung.

Wie Du Dich vom Tor weggedreht hast damals, England gegen Schweden. In vollem Wissen, dass diese Drehung schiefgehen, dass der Ball im Seitenaus landen kann oder auf dem Stadiondach. Der Weg zum Glück führt übers Risiko, das hast Du gezeigt. Dein Weg führte Dich weg aus Rosengård. Großer Junge, große Nase, großes Maul. Weg von Deiner Mutter, die für Dich putzen ging. Weg vom Vater, der trank. Weg aus Malmö, weg aus Schweden, Du hast Europa erobert, Ajax Amsterdam, Juventus Turin, Inter Mailand, FC Barcelona, AC Mailand, Paris Saint-Germain. Jetzt Manchester United. In 170 Spielen 152 Tore: Fallrückzieher, Freistoß, Seitfallzieher, Tunnel, Hacke, Kopf. Es gibt Menschen, die behaupten, dass Du ein Söldner seist. Es gibt Menschen, die sagen, Du seist arrogant. Als Du Paris verließest für einen besseren Vertrag bei Manchester United, da hast Du gesagt: Ich kam als König und gehe als Legende. Zlatan, ehrlich: Wie lange hast Du nachgedacht für diesen Spruch?

Ich gehe den Bennets väg runter, am Schwimmbad vorbei. Haben sie Dir nicht hier Dein erstes Fahrrad geklaut? Fido Dido, Dein BMX. Hast Du hier beschlossen, dass Du selbst klauen willst? Stehlen oder bestohlen werden, angreifen oder angegriffen werden, handeln oder behandelt werden: Ich will mich entscheiden können wie Du.

Du bist kein Söldner, Quatsch. Du ziehst nur weiter, wenn es so weit ist, Du verteidigst unauflösliche Prinzipien. Du bist nicht arrogant, Zlatan. Du bist wehrhaft und stolz. Wie damals beim FC Barcelona, als Dich Pep Guardiola, dieser glatzköpfige Schamane, hinter Messi spielen ließ, als Schattenstürmer. Da hast Du ihn verlassen, den besten Verein der Welt. Du hast sie stehen lassen, die braven Schuljungen: Messi, Xavi, Iniesta. Die Taktiktafeln, den fuchtelnden Pep. Du hast ihn hinter Dir gelassen, diesen zwanghaften Systemfußball. Du willst das wilde Spiel. Man kauft keinen Ferrari und fährt ihn dann wie einen Fiat, hast Du damals gesagt. Einer Deiner Sprüche. Sie werden bleiben wie Deine Tore. Du gehst mit Worten um wie mit Bällen: unberechenbar, schnell. Wie musste ich lachen, Zlatan, als Dich mal ein Journalist fragte, woher die Kratzer in Deinem Gesicht stammen. Was für eine dämliche Frage! Und Du hast geantwortet: Frag mal Deine Frau.

Ich gehe durch die Innenstadt von Malmö. Kleine Häuser, Volvos, blonde Menschen. Alle hilfsbereit. Sie haben gesagt, dass es einen Pub gibt, der Deine Spiele überträgt, immer geradeaus, die Östergatan runter. Gleich spielst Du, zehn Minuten noch, Manchester United gegen Westbromwich Albion. Ich bin spät dran. Hermansgatan. Das Spiel fängt an. Fredsgatan. Verdammt, irgendwo hier muss es doch sein. Ich renne in dieses Einkaufszentrum, da höre ich tiefes Brüllen, als eroberten hundertzehn Wikinger ein Schiff. Ich renne die Treppen hoch, drängle mich in den Pub. Verdammt. Wer war’s? Wer hat das Tor gemacht?

Ich stehe da, noch in der Jacke, und sehe die Wiederholung. Fünfte Minute. Lingard spurtet den rechten Flügel hinunter, Ball eng am Fuß. Du rennst in die Spitze, 1,95 Meter, zwei Köpfe größer als der Verteidiger. Deine Muskeln angespannt. Deine Tattoos ranken sich um Deine Arme wie Efeu. Der Ball fällt auf Deinen Kopf. Der Torwart sieht aus, als fürchte er sich vor Dir. Du gibst dem Ball einen Stoß. Ich sehe jede Ader. Tor!

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