Brauchen wir eine Obergrenze für Menschen?

Wäre das Internet ein Wesen, es wäre Gollum, der verhaltensgestörte Schrumpfmensch aus Herr der Ringe. Es wütet und keift in einem Moment. Und im nächsten Moment wird es ganz klein und niedlich.

Da fordern Menschen auf Facebook, Flüchtlinge müssten vergast werden, und posten gleichzeitig weich gezeichnete Kinderfotos, mit Herzen verziert: Auch Rassisten bekommen Babys. Da sieht man neben Pausenhof-Beschimpfungen, wie fett du bist, wie hässlich du bist, Duckface-Selfies – Selbstporträts junger Frauen, die eine Schnute ziehen, bis sie süß aussehen wie eine Ente. Da finden sich, zwischen all der Galle, dem Keifen, dem Hass, Millionen von Katzenvideos: süße Katzen, tollpatschige Katzen, flauschige Katzen.

Das Verhältnis von Mensch und Katze scheint ohnehin ein seltsames, schon im Analogen, vor allem in diesem Land. Nicht erst seit Akif Pirinçci phänomenal erfolgreiche Katzenkrimis schrieb und dann ins Genre Hass wechselte. Nicht erst seit Beate Zschäpe im November 2011 ihre Katzen Heidi und Lilly in zwei Körbchen aus ihrer Zwickauer Wohnung trug und hinter ihr das Haus explodierte. Nicht erst seit Helge Schneider mit Katzenklo eine Hymne auf das beängstigend Profane schrieb, das brutal Alltägliche, und der deutsche Spießer mitschunkelte, blind und taub für Ironie.

Im Digitalen jedoch, im Gollum-Internet, ist das Ganze weit extremer. Da sind sich Flausch und Menschenhass ganz nah. Das Internet ist hassverseucht. Aber es ist mindestens genauso katzenverseucht. Man könnte neun Leben damit verbringen, auf YouTube Katzenvideos zu schauen.

Das Video Lachende Katzen zum Beispiel, 20 Millionen Aufrufe. Das Video Lustige Katzen Teil 1, 2,7 Millionen Aufrufe. Das Video Sprechende Katzen, 2,1 Millionen Aufrufe. Oder das Video Witzige Katzen, 1,9 Millionen Aufrufe. Oder das Video Katze streichelt Baby in den Schlaf, da sieht man, mein Gott wie süüüüß, wie eine Katze mit ihrer Pfote einem Kleinkind über den Kopf streichelt, bis es die Äuglein schließt, dazu Gitarrenklänge, 1,8 Millionen Aufrufe.

Katzenvideos haben es in den USA längst in die Hochkultur geschafft. Das renommierte Walker Art Center in Minneapolis veranstaltet regelmäßig das Internet Cat Video Festival, eine Open-Air-Veranstaltung mit 10 000 Besuchern. Da werden Katzenvideos ausgestellt – wie sonst Skulpturen von Alberto Giacometti. An diesem Freitag kommt das Katzenvideo-Festival nach Deutschland, ins NRW-Forum nach Düsseldorf. Gewöhnlich hängen hier: Warhol, Newton, Kippenberger, Corbijn. Auf Facebook melden bereits über 1000 Gäste ihr Interesse an.

Die Rheinische Post kooperiert und ruft ihre Leser auf, ihr bestes Katzenvideo einzuschicken. Der Gewinner wird, laut Veranstalter, mit dem Golden Kitty Award ausgezeichnet und erhält Ermäßigungen bei einem Hersteller für Luxus-Katzenmöbel. Auf der Shortlist steht beispielsweise eine gelb gescheckte Katze, die sich in einem Tunnel aus Luftpolsterfolie verirrt, die Kamera folgt ihr, im Hintergrund überschlägt sich menschliches Kichern. Sehen wir da den Geheimfavoriten?

Wenn das Internet Gollum ist, dann heißt das: Wir sind Gollum. Das Internet ist nur eine Abbildung, ein Spiegel sozialer Realitäten. Dann sind wir: verhaltensgestört, manisch, voller Hass auf der einen und kindlicher Sentimentalität auf der anderen Seite. Wie viele der deutschen Nachbarn, die gegen Ausländer demonstrieren und Flüchtlingsheime anzünden, kümmern sich rührend um ein Haustier, säubern das Katzenklo, bürsten den Kater? Auch sie schütteln sich vor Rührung, wenn sie sehen, wie die Katze das Baby in den Schlaf streichelt, mein Gott, das ist wirklich – soo – süß. Sie sind zur gleichen Zeit überempfindsam und gefühlskalt.

Kitsch ist per Definition der Fetisch einer unreflektierten Sentimentalität. Die Faszination für das Süße, das Niedliche, das Liebliche tritt brüderlich auf mit Grausamkeit und Hass. Wenn nichts mehr hilft, dann ist das der politische Konsens in diesem Land: die süße, tollpatschige Katze.

Es gibt acht Millionen Hauskatzen in Deutschland. Sie scheißen in Gärten, verstopfen das Internet, sie belasten die Feuerwehr und fressen wehrlose Vögel.

Vielleicht sollten wir mal über eine Obergrenze sprechen.

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